Geschichte Osteuropas und Südosteuropas
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Seelsorge oder Disziplinierung? Einfluss der kirchlichen Obrigkeit auf Geistliche und Gläubige (Forschung zu Frömmigkeit, Kommunikationsstrategien und Priesterbilder in der Korrespondenz an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert)

Tomáš W. Pavlíček

RESÜMEE
Der Autor der Dissertation untersucht die religiöse Kultur in Böhmen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er polemisiert mit dem Konzept der Säkularisierung und mit der verbreiteten These über den allgemeinen Abstieg der Religiosität in der tschechischen Gesellschaft im Bestreben zu beleuchten, wie der religiöse und soziale Wandel in der Moderne zusammenhängt. Laut der soziologischen Betrachtung der Säkularisierung und der Entzauberung der Welt konzentriert er sich an drei Erscheinungen (Berufung der Geistlichen, religiöse Praktiken und Konversionen), die er als religiöse Begriffe erfasst und ebenfalls in der geschichtswissenschaftlichen Forschung anwendet. Am meisten widmet sich er dem ersten Forschungsgebiet – Stellung der Geistlichen zum Beruf, weil gerade Klerus Träger des religiösen Wandels ist.

Die Dissertation leistet einen Beitrag für heutigen Diskussionen über dem Verhältnis von Staat und Kirche und über die Rolle der Geistlichen in der Gesellschaft. Die Hauptfrage sind: Was für eine Rolle hat der Geistliche in dem religiösen Wandel? Wie und unter welchen Bedingungen kommt der Akteur zur Berufung? Wie sah die geistliche Bildung in dem Prager Priesterseminar? Im Mittelpunkt der Dissertation stehen katholische Geistliche in der Prager Erzdiözese, wobei der Fokus der Untersuchung auf ihrem Bildung, ihrer Kommunikation und der pastoralen Sorge liegt. Ihre Berufung wurde in der modernen Kultur und im Prozess der Industrialisierung neu charakterisiert. Ihre Stellung zum Beruf konnte die Generationenkonflikte oder die Kooperation, die konträre Positionierung der Geistlichen untereinander bzw. gegen kirchliche Würdenträgern hervorrufen, aber auch die Pastoralsorge beeinflussen. Als Quellenmaterial dienen dabei in erster Linie die Korrespondenz der Geistlichen, im Einzelfall auch Tagebücher, Chroniken und Dokumente von Pastoralkonferenzen und Visitationsberichte. Es wurde kollektivbiographisch untersucht, wie die Alumnen von vier Kohorten in den Standbüchern vor der Ordination qualifiziert. Die Quellen werden mit den Mitteln der historischen Semantik und der Kommunikationstheorie bearbeitet. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Sprache der Quellen, da diese Auskünfte über die Motivationen und Strategien der Akteure geben kann, die Fiktion des Faktischen durch den Quellenspuren zu verifizieren. Dabei spielen auch die Spezifika des Mediums Brief eine wichtige Rolle. Es werden somit sprachakttheoretische Aspekte angewandt.

Über allen getroffenen Vorannahmen besteht wenig Forschung, gerade eine semantische Analyse der Religiosität und der Seelsorge sowie den sozioökonomischen Bedingungen des Klerus in Böhmen um die Jahrhundertwende fehlt noch. Der Autor kommt zum Schluss, dass statt Säkularisierung die Spannung zwischen alten und neuen religiösen Praktiken entstand, dass in der urbanen Welt Geistlichen besser neue Pastoralformen anwandten und dass der religiöse Wandel hier ehe denn auf dem Lande entstand.


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