Geschichte Osteuropas und Südosteuropas
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Dissertationsprojekt: Sachsen und Rumänen in den siebenbürgischen Zentren Hermannstadt und Kronstadt 1868 – 1914

Betreuer: Prof. Dr. Martin Schulze Wessel

Die Forschung zum multiethnischen Zusammenleben in Kronstadt und Hermannstadt zwischen 1868 und 1914 betritt durchaus wissenschaftliches Neuland. Die Monographie von Margit Feischmidt „Ethnizität als Konstruktion und Erfahrung: Symbolstreit und Alltagskultur im siebenbürgischen Cluj“ widmet sich zwar der ethnischen Verhältnisse in einer siebenbürgischen Stadt, Klausenburg, aber hauptsächlich aus ethnographischer und anthropologischer Sicht und mit Blick auf die aktuellen Verhältnisse. Rückblickend auf das Ende des 19. Jahrhunderts versucht sie „die Vorbilder der aktuellen Symbole und Diskurse“ zu verstehen. Eine relativ große Zahl an rumänischen Studien widmet sich dem multiethnischen Siebenbürgen, jedoch zumeist dem heutigen Siebenbürgen und mit soziologischen Methoden. Das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zueinander in Siebenbürgen im Zeitalter des Dualismus ist bis jetzt kaum erforscht, ja sogar schlichtweg umgangen worden. Seitens der rumänischen, siebenbürgisch-sächsischen oder ungarischen Historiographie wurde stets der eigenen Nationalgeschichte oder -bewegung Vorrang gegeben; selten wurden sie mit einem vergleichenden Blick untersucht. Sowohl auf den ungarischen und rumänischen Raum als auch allgemein auf den südosteuropäischen Raum bezogen findet eine gemeinsame Betrachtung der Forschungsfelder Multiethnizität und Stadtgeschichte bis heute wenig Beachtung. Die Nationale Frage im Vielvölkerreich Österreich-Ungarn wurde ausreichend untersucht und die aufeinander bezogenen Forschungsfelder Regionen, Identitäten und neuerdings Loyalitäten stehen gegenwärtig hoch im Kurs. Das Dissertationsvorhaben erhebt den Anspruch, das Forschungsfeld der multiethnischen Städte durch praxisbezogene Fragen differenziert zu beleuchten, vorausgesetzt, dass sich in kleineren, definierten Räumen wie dem städtischen Raum optimaler untersuchen lässt, wie Ethnien bzw. Bevölkerungsgruppen miteinander lebten und umgingen. Es erhebt nicht den Anspruch, ein Gesamtbild der Beziehungen zwischen Sachsen und Rumänen in den Jahren 1868 bis 1914 zu liefern. Es soll ein erster Schritt sein, das Forschungsfeld der ethnischen Vielfalt Siebenbürgens neu zu betrachten und dabei neue Wege für weitere Forschungsvorhaben über den habsburgischen Vielvölkerstaat zu beschreiten.

Die Aufgabe der Dissertation ist es, vor dem Hintergrund der Budapester Magyarisierungspolitik als „tertium comparationis“ auf die Beziehungen zwischen Siebenbürger Sachsen und Siebenbürger Rumänen unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Hermannstadt und Kronstadt vergleichend einzugehen. Die erforschte Zeitspanne reicht vom Zeitpunkt der per Gesetz geforderten Gleichberechtigung der Nationalitäten und der staatrechtlichen Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn bis hin zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Die vorliegende Studie verfolgt also die Fragen nach den ethnischen Kontakten im Zeitalter des entstehenden Bürgertums, der Urbanisierung und der damals noch schleppenden Industrialisierung. Dabei soll auf die wirtschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Praxis beider Bevölkerungsgruppen eingegangen werden. Der Begriff der Zivilgesellschaft lenkt die Aufmerksamkeit vor allem auf die in Vereinen organisierte Bevölkerung beider Städte. Da eine sozialgeschichtliche Darstellung des Zusammenlebens der Sachsen und Rumänen in Kronstadt und Hermannstadt angestrebt wird, wird der Begriff der Alltagsgeschichte Verwendung finden: Die Dissertation widmet sich sowohl den Akteuren bzw. der Oberschicht des gesellschaftlichen Lebens als auch den passiveren Unterschichten der beiden Städte. Eine Untersuchung der Arbeitervereine und die Frage nach der ethnischen Zusammensetzung der Arbeiterschaft beider Städte soll ergänzend zur etablierten Gesellschaft auch Auskunft über die bis jetzt kaum erforschten Kronstädter und Hermannstädter Arbeiterschaften liefern.

Ergänzende Fragen zum Forschungsansatz der Dissertation:

  • Eine einfache, aber wichtige Frage: War ein friedliches Mit- oder Nebeneinanderleben möglich?
  • Welche deckungsgleichen Interessen, Affinitäten, Verbundenheiten oder Ungleichheiten gab es? Wie prägnant waren letztere für das Zusammenleben der Sachsen und Rumänen? Welche Interessen mussten die rumänischen und sächsischen Eliten verteidigen? Wurde eine Spaltung möglicherweise aufgrund von Interessenskonflikten verursacht? Waren die Beziehungen beider Volksgruppen zueinander lokal bedingt?
  • Wie war das zivilgesellschaftliche Leben in Kronstadt und Hermannstadt organisiert? Wer waren seine Akteure und welche Rolle spielten diese in den beiden Städten?

Zur Beantwortung dieser Fragen werden Vereins- und politische Archive von Hermannstadt und Kronstadt herangezogen. Eine Vielfalt von Statistiken, die aus den unterschiedlichsten Quellen stammt, wird analysiert. Ein Großteil des Vorhabens wird sich außerdem auf die rumänische und sächsische Alltagspresse der Jahre 1868 bis 1914 stützen.